Kurz zusammengefasst
- Anliegen der Unternehmen: Entstehung von regulären Arbeitsverhältnissen in Gig- und Plattform-Ökonomie soll vermieden werden
- Mitwirkungs-Paragraphen des ArbVG ermöglichen Anwendungen auf unterschiedliche Organisationsformen der digitalen Arbeitswelt
- Mitbestimmungsansprüche sind aktuell aber nicht ausreichend
- Anpassung des kollektiven Arbeitsrechts an gegenwärtige und künftige Erscheinungsformen notwendig
- Möglicher Lösungsansatz: Vertragsfreiheit innerhalb von (kollektiv gestalteten) Rahmen-Regulatorien
Die Gig- und Plattform-Ökonomie orientiert sich nicht an den bisherigen Betriebs- oder Unternehmensgrenzen. Auch versucht sie in aller Regel zu vermeiden, dass Arbeitsverhältnisse entstehen. Zwei zentrale Konstanten des Mitbestimmungsrechts scheinen zu fehlen: der örtliche Bezugsrahmen Betrieb sowie der personelle Bezugsrahmen und Geltungsbereich, der die „im Rahmen des Betriebs“ beschäftigte Belegschaft erfasst. Jedoch bestehen schon nach geltendem Recht einige arbeitsrechtliche Handlungsspielräume, um den Kollektiven der betroffenen Beschäftigten und ihren kollektiv-arbeitsrechtlichen Repräsentanten (Betriebsrat, Gewerkschaft, Arbeiterkammer) Instrumente zur Mitgestaltung der Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen in die Hand zu geben.
Das zentrale Gesetz der österreichischen Mitbestimmung, das Arbeitsverfassungsgesetz 1974 (ArbVG), wurde zwar in einer Phase des Übergangs von der Industrie- zur Dienstleistungswirtschaft geschaffen, die weitsichtig gewählten Formulierungen der rund 30 Mitwirkungs-Paragrafen des ArbVG ermöglichen aber dennoch gewisse Anwendungen auf die unterschiedlichen Organisationsformen der digitalen Arbeitswelt. Auf der Grundlage des bestehenden Rechts werden diese Mitbestimmungsansprüche jedoch nicht ausreichen. Es bedarf einer Anpassung des kollektiven Arbeitsrechts an die gegenwärtigen und künftigen Erscheinungsformen sowie Mechanismen der Gig-Economy. Diese wird über technisch rasch veränderbare Internetplattformen organisiert und abgewickelt. Zentrale Fragen aus der rechtspolitischen Zukunftsperspektiv sind daher:
- In welchen Räumen der Arbeitsorganisation sollen RepräsentantInnen für welche Gruppen von Beschäftigten zuständig sein?
- Welche kollektiven Rechtsansprüche, also Mitwirkungsrechte, sind für die Interessenvertretung der im World Wide (!) Web beschäftigten „Belegschaften“ erforderlich?
- Wie kann die Entwicklung vom Betriebsrat zum Plattformrat gelingen?
Die Digitalisierung der Arbeitswelt 4.0 führt uns dabei gewissermaßen an die historischen Wurzeln des kollektiven Arbeitsrechts zurück. Ebenso wenig wie die vielzitierte und vielwiderlegte „unsichtbare Hand des Marktes“ wird eine „unsichtbare Hand der Plattformökonomie und des Gigwork-Arbeitsmarktes“ zu Interessen ausgleichenden Mechanismen und Ergebnissen führen können. Gerade in stark vereinzelnden und durch grobe Ressourcen- und Machtungleichgewichte gekennzeichneten Arbeitsmärkten bedarf es klarer rechtlicher Absicherungen der schwächeren VertragspartnerInnen; und zwar nicht nur im Vertrags-Rahmenrecht, sondern auch in ihren gemeinsamen, also kollektiven Interessenpositionen. Zufriedenstellende Verhandlungsmöglichkeiten sind in der gegenständlichen, digital geprägten Wirtschafts- und Arbeitsform rar. Eine von beiden Vertragsseiten gewollte Übereinkunft über die Arbeitsbedingungen und das Entgelt (sowie die zugehörigen Aspekte wie Sozialversicherung, Steuern und Abgaben, Nebenkosten der Arbeit usw.), also Privatautonomie im Wortsinne, wird wohl nur selten anzutreffen sein.
Vertragsfreiheit innerhalb von (kollektiv gestalteten) Rahmen-Regulatorien wäre hingegen ein Lösungsansatz, der sich im Arbeitsrecht kontinentaleuropäischer Prägung seit Jahrzehnten bewährt hat: Der Mittelweg zwischen völliger Verrechtlichung und völliger Privatautonomie gewissermaßen. Es bedarf zeit- und technikgemäßer Rechtsgrundlagen, um diesen goldenen Mittelweg zwecks „Herbeiführung eines Interessenausgleichs zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes“ iSd § 39 Abs 1 ArbVG weiterhin beschreiten zu können.